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Die Datenbank zu ausgewählten Kulturzeitschriften um 1900 ist aus dem Langzeitvorhaben Europäische Jahrhundertwende: Literatur, Künste, Wissenschaften um 1900 in grenzüberschreitender Wahrnehmung hervorgegangen, das von 2002-2009 unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Mölk an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen durchgeführt wurde. In die Leitungskommission wurden von der Akademie neben dem Kommissions-vorsitzenden Mölk (Romanistik) die Professoren Konrad Cramer (Philosophie), Werner Frick (als dessen Nachfolger 2004 Heinrich Detering, beide Germanistik) und Fritz Paul (Skandinavistik) sowie als ständige beratende Mitglieder Wilfried Barner (Germanistik), Werner Creutzfeldt (Innere Medizin), Uwe Diederichsen (Rechtswissenschaften), Siegmar Döpp (Altphilologie), Norbert Elsner (Neurobiologie), Manfred Schroeder (Physik), Reiner Thomssen (Medizinische Mikrobiologie) und Theodor Wolpers (Anglistik) bestellt. Diese Konstellation ist Ausdruck der sowohl komparatistischen wie interdisziplinären Perspektive, die dem Forschungsprojekt von Beginn an eingeschrieben war.
Der Forschungsgegenstand – die titelgebende ‚Jahrhundertwende‘ – hat seit etwa dreißig Jahren sowohl in der Germanistik, Romanistik und Skandinavistik als auch der Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte einen nahezu paradigmatischen Charakter angenommen. Diese Entwicklung scheint aus der Einsicht zu folgen, dass sich in der Zeit von ca. 1880 bis 1914 eine gleichermaßen internationale wie interdisziplinäre Moderne herausbildet, die als Grundlage des 20. Jahrhunderts zu verstehen ist – ein Prozess, der sich um das ideengeschichtlich bedeutsame Jahr ‚1900‘ besonders verdichtet bzw. beschleunigt. Die bisherigen literaturwissenschaftlichen oder von Literaturwissenschaftlern initiierten Forschungsleistungen zu dieser ‚Jahrhundertwende‘ liegen vor allem in den Versuchen, Analogien und Homologien in Literatur und Kunst zu untersuchen oder, dies eher seltener, bestimmte Denkfiguren und Erfahrungswerte durch verschiedene Kulturbereiche zu verfolgen. Anderes wurde hingegen bisher zu Unrecht kaum in den Blick genommen: Transfer- und Kontaktbeziehungen zwischen den europäischen Nationen oder der nationalspezifische bzw. der nationenübergreifende Austausch innerhalb bestimmter Diskursfelder, wie er z.B. zwischen Schriftstellern und Geisteswissenschaftlern auf der einen und Naturwissenschaftlern auf der anderen Seite erfolgt.
Hier also setzte das Akademievorhaben an: Sein Ziel war es, im Rahmen einer inhaltsanalytischen Dokumentation ausgewählter Kulturzeitschriften eine exemplarische Basis für die Beantwortung der Frage nach grenzüberschreitenden Vermittlungsleistungen zu bieten, der Frage also nach der Überschreitung entweder nationaler oder fachspezifischer Grenzen. Konkrete Auskunft soll auf diesem Weg gegeben werden sowohl über tatsächliche Transferbeziehungen zwischen den europäischen Ländern im Einzelnen als auch über die im Medium ‚Kulturzeitschrift‘ vermittelten Themen im Allgemeinen, über die Modalitäten dieser Vermittlung und über die Vermittler selbst.
Wie ist das moderne französische Theater in Deutschland angekommen? Wie wurde Schopenhauer in Frankreich aufgenommen? Welche Perspektive nimmt die Kulturzeitschrift gegenüber den politischen Entwicklungen in ihrem eigenen, aber auch in anderen europäischen oder außereuropäischen Ländern ein? Wie nehmen Schriftsteller oder andere Beiträger über nationale und disziplinäre Grenzen hinweg naturwissenschaftliche Entdeckungen wahr? Solche und vergleichbare Fragen werden durch die Struktur der Datenbank nahgelegt und ihre Beantwortung zugleich exemplarisch ermöglicht.
Die Wahl des Untersuchungsobjekts ‚Kulturzeitschrift‘ begründet sich dabei aus deren kunst- und kulturpolitischer Bedeutung, die von der kulturwissenschaftlichen Forschung bislang kaum wahrgenommen wurde: Kulturzeitschriften stellen um 1900 eines der einflussreichsten, auf nahezu alle öffentlichen Diskurse Bezug nehmenden Medien dar und werden damit zur wichtigen Instanz für Informations- und Konsekrationsprozesse. Namentlich aus der ‚neuen Unübersichtlichkeit‘ um die ‚Jahrhundertwende‘, aus der in den behandelten Ländern unterschiedlichen, aber z.T. durchaus rasanten Ausdifferenzierung der am kulturellen Geschehen interessierten Öffentlichkeit resultierte eine wachsende Bedeutung der Kulturzeitschriften. Sie steigerten zunehmend die eigene Benennungsmacht im Kampf um die ‚richtige‘ Kulturauffassung, um Werte und Normen bzw. darum, über welche Kulturgüter überhaupt verhandelt werden sollte. Der Blick auf ausgewählte Publikationsorgane erhellt also prinzipiell, welche ideengeschichtlichen Konstellationen und kulturpolitischen Tendenzen die öffentliche Meinung national und transnational um die Jahrhundertwende beherrschten, und darüber hinaus auch, wie sie ihre Rolle als Plattform (bildungs-)bürgerlicher Kommunikation erlangten und gestalteten.
Im Sinne dieser Überlegungen wurden folgende Kulturzeitschriften bibliographisch erfasst, verschlagwortet und im Sinne der spezifischen Perspektive des Unternehmens nach national oder disziplinär grenzüberschreitenden Wahrnehmungen inhaltsanalytisch ausgewertet:
- die Jahrgänge 1899-1901 der deutschen Kulturzeitschriften die Freie Bühne/ Neue deutsche Rundschau, die Deutsche Rundschau sowie Westermanns Monatshefte, d.h. eines der resonanzstärksten Organe des Zeitschriftentypus ‚Familienblatt‘ und zwei ‚Rundschauzeitschriften‘, die vorbildhaft für alle Organe dieses Typs um die Jahrhundertwende waren
- die Jahrgänge 1890 und 1891 sowie 1899 und 1900 des französischen Mercure de France, von Anfang an als Publikationsorgan und als Diskussionsforum für Autoren der jungen Generation sowie als literarische Informationszeitschrift gedacht
- die Jahrgänge 1899 und 1900, z.T. auch 1901 der Nuova Antologia, der 1866 begründeten wohl wichtigsten italienischen Kulturzeitschrift des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.
Diese inhaltsanalytische Dimension unterscheidet die Datenbank zur ‚Europäischen Jahrhundertwende‘ von anderen Zeitschriftenprojekten im Netz, z.B. von der Online-Edition des Simplicissimus (http://www.simplicissimus.com/), die den Volltext der Zeitschrift digitalisiert und sie damit als Quelle anbietet, aber (außer durch die Verschlagwortung) keine interpretative Dimension aufweist, und der vergleichbar konzipierten Digitalversion der Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/jugend), die auf dem Server der Universitätsbibliothek Heidelberg liegt.
Die Dokumentationsarbeit wurde begleitet und z.T. exemplarisch ausgewertet in vier Kolloquien, in deren Rahmen sich in- und ausländische Forscher verschiedener Disziplinen grenzüberschreitenden Wahrnehmungsprozessen in diesen und ergänzend oder kontrastiv hinzugenommenen Kultur- und z.T. auch Fachzeitschriften oder Zeitungen widmeten. Entsprechend der national wie disziplinär grenzüberschreitenden Ausrichtung des Vorhabens reichte das Blickfeld dieser Untersuchungen über innereuropäische Transferprozesse hinaus bis nach Asien und Amerika; und nicht nur Literatur und Kunst der Jahrhundertwende, sondern auch medizinische, psychologische und naturwissen-schaftliche Themen wurden berücksichtigt. Dokumentiert sind diese Beiträge in drei Sammelbänden: [s. zugehörige Veröffentlichungen].
Die Datenbank, schon jetzt ein erstes Arbeitsinstrument für Lehrende, Studierende, Wissenschaftler und alle diejenigen, die an der Jahrhundertwende ‚1900‘ interessiert sind, umfasst zum jetzigen Zeitpunkt (April 2010) ca. 7000 Einträge. Sie wird sukzessiv ergänzt werden, bis der ‚Kernzeitraum‘ der drei Jahre um 1900 vollständig erfasst und inhaltsanalytisch ausgewertet sein wird.
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